Vom 12. bis 14. März war das IPMPP in diesem Jahr mit 8 Beiträgen auf dem Kongress in Berlin vertreten.
12.03.2025
Biopsychosoziale Langzeitfolgen in Betroffenen leiser Repressionen in der DDR - Psycho, Inflammation und die protektive Rolle sozialer Unterstützung
R. Marheinecke, A. Maltusch, C. Spitzer, V. Engert, & B. Strauß
Hintergrund: Politische Repression in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR; 1949 - 1990) umfasste leise Maßnahmen unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Verfolgung, auch „Zersetzung“ genannt. Diese beinhaltete unter anderem kontinuierliche Überwachung, Diskreditierung des Rufes oder das Herbeiführen beruflicher oder sozialer Misserfolge. Ziel dieser Maßnahmen war die systematische Untergrabung der psychosozialen Integrität von (vermeintlichen) politischen Oppositionellen, sowie das Erzeugen von Angst, sozialer Isolation und Verwirrung.
Ziele: In zwei Teilprojekten unseres Forschungsverbundes untersuchten wir die psychosozialen Langzeitfolgen dieser Repressionserfahrungen.
Methoden: Bei N = 61 Personen wurde das Diagnostische Expertensystem für psychische Störungen (DIA-X) eingesetzt, um psychische Erkrankungen über den Lebensverlauf hinweg zu erfassen. Bei N = 100 Personen (n = 50 mit Repressionserfahrungen, n = 50 Vergleichspersonen) erfassten wir in einer weiteren Studie zusätzliche Maße, wie die Multidimensionale Skala Sozialen Supports (MSPSS), die Inflammationsmarker Interleukin-6 (IL-6) und C-reaktives Protein (CRP) sowie die Telomerlänge als Marker für zelluläre Alterungsprozesse.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass Betroffene von Zersetzungsmaßnahmen auch nach mehr als 35 Jahren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bzw. einer Kontrollgruppe deutlich höhere Prävalenzen von Angststörungen und Depressionen sowie eine erhöhte Immuninflammation (IL-6) aufweisen. Darüber hinaus legen die Daten nahe, dass wahrgenommene soziale Unterstützung als protektiver Faktor für die Zellgesundheit fungieren könnte.
Diskussion: Die Beschäftigung mit den Langzeitfolgen leiser Repression in der DDR ist entscheidend für ein umfassenderes Verständnis und eine angemessene Gesundheitsversorgung von Betroffenen, deren Biografie durch diese Erfahrungen geprägt ist.
Cracks in the Foundation: Disrupted Epistemic Trust as a Pathway Between Early Relational Trauma and PTSD Symptoms
E. Lashani, P. Fonagy, D. Riedl, H. Kampling, J. Kruse, A. Lampe, P.R. Montague, V. Engert, E. Brähler, J. M. Fegert, C. Sachser, T. Nolte
Trauma can profoundly affect mental health and an individual’s trust in their social world. Disruptions of epistemic trust – a cornerstone of social learning and resilience – are theorized to increase vulnerability to psychopathology. This cross-sectional study examined the conditions under which trauma affects epistemic trust and contributes to developmental risk.
Using self-report data from a German representative sample (Study 1; N = 2519) and a mixed clinical-control UK sample (Study 2; N = 1923), associations between trauma timing and type, epistemic stance, and PTSD symptoms were tested.
Study 1 showed that age at traumatization and trauma type alone did not differentially affect the epistemic stance. However, when considering their interplay, early relational trauma had the strongest negative effect on epistemic stance. Study 2 underscored the influence of emotional abuse during childhood on epistemic mistrust and credulity, as well as the detrimental effect of experiencing various trauma types. Across both studies, epistemic stance, particularly heightened credulity, partially mediated trauma effects on PTSD symptoms.
By contrasting different trauma types across the lifespan, these findings support a developmental framework of psychopathology, where early relational trauma undermines epistemic trust and thereby increases vulnerability to later mental health outcomes.
Gesundheitliche Langzeitfolgen bei Betroffenen von Unrecht und Repressionen in der DDR: Versorgungsbedarfe und Lehren für die Zukunft
B. Strauß, N. Schneider, & A. Gallistl
Hintergrund: Das Forschungsprojekt zu gesundheitlichen Langzeitfolgen der SED-Diktatur hat gezeigt, dass die Folgen bei Betroffenen, die sehr verschiedene Opfergruppen repräsentieren, nach wie vor ausgeprägt sind. Gleichzeitig gibt es für diese Gruppen trotz einiger bemerkenswerter Initiativen ein unzureichendes Angebot an psychosozialer Hilfe und sozialer Unterstützung (z.B. bezüglich einer Rehabilitierung).
Ziele: Ein Teilprojekt des Verbundes befasste sich explizit mit der Frage der Bedarfe und der Entwicklung von Hilfen für die Betroffenen insbesondere dadurch, dass Professionelle aus unterschiedlichen Bereichen, in denen Betroffene erscheinen, gezielt geschult, fortgebildet und supervidiert werden.
Methoden: In verschiedenen Settings (Beratung, Bundesarchiv) wurden Fort- und Weiterbildungscurricula entwickelt und evaluiert. Auf dieser Basis wurden weitere Zielgruppen identifiziert mit dem Ziel, für diese spezifischen Zielgruppen Professioneller Informations- und Unterstützungsmaterial zu erstellen.
Ergebnisse: Die Curricula wurden positiv evaluiert und trugen dazu bei, auf einer noch im Aufbau befindlichen Webseite Materialien sowohl für fokussierte wie auch umfassende Curricula bereit zu stellen. Unter anderem richten sich diese Materialien an Mediziner:innen in der Primärversorgung, Psychotherapeut:innen und Ärzt:innen mit psychosomatisch-psychotherapeutischen Schwerpunkten.
Diskussion: Die Beschäftigung mit den Langzeitfolgen der Repression in der DDR ist bislang immer noch unzureichend in die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowohl von Personen im Gesundheitswesen als auch solchen, die mit Betroffenen in administrativen und juristischen Kontexten konfrontiert werden.
Meldesystem zur Erfassung seltener jedoch relevanter Psychotherapienebenwirkungen (das Conterganproblem)
B. Strauß
Hintergrund: Es gibt inzwischen eine umfangreiche nationale wie internationale Forschung die zeigt, dass UBPS nicht nur häufig sind, sondern in ca. 10% der Fälle auch schwerwiegend und überdauernd sind. Die vorliegenden Daten basieren in der Regel auf globalen und übergreifenden Erhebungen. Sie erlauben Aussagen darüber, dass es Psychotherapienebenwirkungen gibt und in etwa wie viele Patient*innen davon betroffen sind. Es fehlen Daten zu verfahrens-, methoden- und technikspezifischen sowie settingsspezifischen (ambulant vs. [teil-]stationär) UBPS. Diese werden jedoch benötigt für die Erkennung, Prävention, und Bewältigung von UBPS im Einzelfall.
Ziele Der Vortrag beschreibt ein Vorhaben, dessen Hauptziel der Aufbau eines UBPS Reportingsystems ist.
Methoden: Das Projekt schließt an Überlegungen und Forderungen des Memorandums des Aktionsbündnisses Patientensicherheit zu Nebenwirkungen in der Psychotherapie an (Aktionsbündnis Patientensicherheit, APS, e.V. (Hrsg) „Patientensicherheit und Nebenwirkungen in der Psychotherapie. Anregungen zur Fortentwicklung“). Darin wird im Abschnitt „Meldesysteme“ festgestellt, dass „diese eine sinnvolle Möglichkeit sind, um interventionsspezifische, seltene oder spezielle Nebenwirkungen erfassen zu können und es wird die Etablierung niedrigschwelliger psychotherapiespezifischer Berichtsund Lernsysteme oder Register gefordert, um aus den Erfahrungen der unerwünschten Ereignisse bzw. Nebenwirkungen zu lernen und Behandlungsprozesse zu verbessern“
Ergebnisse: Das Vorhaben wird in drei Schritten durchgeführt werden, auf die der Vortrag Bezug nimmt: 1. Aktualisierung und systematische Zusammenfassung der Literatur zu UBPS und Weiterführung von deren Konzeptualisierung auf der Basis der Literatur und von Befragungen verschiedener Zielgruppen, 2. Entwicklung, Evaluation und Etablierung eines UBPS-Reportingsystems, und 3. Evaluation des Systems und der Erfahrungen damit und Entwicklung von Verstetigungsvorschlägen in der Routine der Patient*innenversorgung.
Diskussion: Ein UBPS-Reportingsystem kann dazu beitragen, aus den Erfahrungen der unerwünschten Ereignisse bzw. Nebenwirkungen zu lernen und Behandlungsprozesse zu verbessern.
Personen mit Psychotherapieerfahrungen in der DDR - Eine Interviewstudie
K. Noeh, & B. Strauß
Hintergrund: Im Zuge des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojektes „Seelenarbeit im Sozialismus“ wurde herausgearbeitet, dass das bisherige Fehlen einer systematischen Untersuchung der Patientenperspektive in einem auffälligen Kontrast zu einem sonst großen Spektrum bestehender Literatur zur Psychotherapie in der DDR steht . Es wird jedoch argumentiert, dass im Rahmen von Aufarbeitungs- und historischen Rekonstruktionsversuchen gerade die Perspektive der Betroffenen selbst in das Blickfeld zu rücken sei.
Ziele: Der Fokus der vorgestellten Untersuchung liegt auf systemimmanenten Prägungen, die als ein möglicher Einflussfaktor auf die Psychotherapieerfahrung in der DDR untersucht werden sollen. In der Interviewstudie wurde hierfür im Speziellen auf die auslösenden Momente der Inanspruchnahme einer Psychotherapie, die Psychotherapieerfahrungen sowie mögliche DDR-Spezifika eingegangen. Berücksichtigt wurden hierbei auch Entwicklungsaspekte der Psychotherapie über das Bestehen der DDR hinweg.
Methoden: Für die Untersuchung der Perspektive der Personen, die zwischen 1961 und 1989 Erfahrungen mit einer psychotherapeutischen Behandlung in der DDR gemacht haben, wurden bislang 17 leitfadengestützte, problemzentrierte und halbstrukturierte Interviews mit narrativem Anteil (Witzel, 2000) geführt. Der Erhebungs- und Auswertungsprozess wird als induktiv-deduktives Wechselverhältnis organisiert und verstanden (Witzel, 2000). Es erfolgt eine Verschriftlichung der Interviews, angelehnt an die Transkriptionsregeln der TiQ (Talk in Qualitative Research; Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014). Die Datenauswertung- und Interpretation erfolgt anhand von qualitativen Analysen (Kuckarzt, 2018) sowie einer quantitativen Datenauswertung von zusätzlich ausgehändigten Fragebögen an die Probanden (Mixed-Method-Design).
Ergebnisse: Es werden die ersten Ergebnisse der Auswertung der vielfältigen und heterogenen Erfahrungsberichte dargestellt werden.
Diskussion: Der Beitrag der hier erarbeiteten Patientenperspektiven zum historischen Rekonstruktionsversuch der Psychotherapie in der DDR soll diskutiert werden. Zudem sollen die Limitationen des gewählten Vorgehens dargestellt werden.
Psychosoziale Aspekte der Gesundheitsversorgung bei Geschlechtsinkongruenz
B. Strauß
In der ICD-11 beschreibt die Kategorie Geschlechtsinkongruenz die „ausgeprägte und persistierende Inkongruenz zwischen dem empfundenen Geschlecht einer Person und dem zugewiesenen Geschlecht“. Diese Kategorie reflektiert eine Entpathologisierung des Phänomens und legt nahe, die Gesundheitsversorgung von Trans* und non-binären Menschen neu zu überdenken und zu prüfen. Dies ist ein Ziel im Rahmen der Entwicklung einer neuen (S3-)Leitlinie, die interdisziplinär die Evidenz zu einer effektiven Behandlung von Menschen mit Geschlechtsinkongruenz zusammenfassen will. In dem Vortrag wird auf psychosoziale Aspekte fokussiert, beginnend mit Fragen, mit welcher Haltung Betroffenen optimalerweise begegnet werden sollte und welche Rolle die psychosoziale Medizin bei der Entscheidungsfindung für somatische Maßnahmen hat. Schwerpunkte werden weiter die Fragen nach der Häufigkeit psychischer Beeinträchtigungen und deren Ätiologie sein sowie psychotherapeutische Ansätze und Angebote für Menschen mit Geschlechtsinkongruenz, deren Indikation und Effektivität.
Psychosoziale Charakteristika von Opfern staatlichen Machtmissbrauchs in der DDR
M.-T. Kaufmann, J. König, E. Brähler, C. Kasinger, & B. Strauß
Hintergrund: Die Beschäftigung mit den Langzeitfolgen der Repression in der DDR ist bislang immer noch unzureichend in die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowohl von Personen im Gesundheitswesen als auch solchen, die mit Betroffenen in administrativen und juristischen Kontexten konfrontiert werden.
Ziele: Die Lebensläufe von Personen aus den Neuen Bundesländer werden untersucht, um herauszufinden, wer (keine) Angaben zu Repressionserfahrungen macht. Dabei sollen Unterschiede in der psychischen Gesundheit einbezogen werden. Nicht nur persönlich Betroffene werden untersucht, sondern auch Angehörige und Freunde. Die Ergebnisse dienen der weiteren Charakterisierung von Opfern staatlichen Machtmissbrauchs und einer möglichen Ableitung von Hilfebedarfen.
Methoden: In einer repräsentativen Querschnittstudie wurden zwischen Mai und September 2022 N = 3011 Personen befragt (Rücklaufquote 45.3 %). Die Daten wurden mit einer latenten Klassenanalyse ausgewertet.
Ergebnisse: Erste Auswertungsergebnisse sollen auf dem Kongress vorgestellt werden.
Diskussion: Bestehende Charakterisierungen und Klassifizierungen von Betroffenengruppen sollen erweitert werden. Zudem sollen psychosoziale Bedarfe unterschiedlicher Betroffenengruppen abgeleitet werden.
Vertrauen zum Psychotherapeuten und in das System– Erforschung von Zusammenhängen und Profilen des Vertrauens in PsychotherapeutInnen, Institutionen und andere als explorative Klassifikationsgrundlage in einer ostdeutschen Psychotherapiestichprobe
M.-T. Kaufmann, B. Strauss
Hintergrund: Institutionelles Vertrauen scheint einen kausalen Einfluss auf zwischenmenschliches Vertrauen zu haben. Der Kontakt mit Behandelnden wird als interpersoneller Faktor für die Entwicklung von institutionellem Vertrauen – in diesem Fall in die Institution Gesundheitssystem – diskutiert. Einige der in der Literatur diskutierte Faktoren, die mit Inanspruchnahme von Psychotherapie in Zusammenhang stehen, sind mit höheren Vertrauenswerten in Institutionen assoziiert.
Ziel: Das Verständnis des Vertrauens in PsychotherapeutInnen ist von entscheidender Bedeutung für die Bewertung der Wirkweise von Psychotherapie. Gegenwärtig wird das Vertrauen in PsychotherapeutInnen oft als interpersonell diskutiert. Wir untersuchen explorativ neue Perspektiven auf institutionelles Vertrauen mit einer Relevanz für die Gesellschaft als Ganzes. Darüber hinaus könnte es hier verschiedene Personengruppen geben, die unterschiedliche Ansätze und Bedürfnisse in der Psychotherapie aufweisen könnten.
Methoden: Es wurde eine hierarchische Clusteranalyse in einer ostdeutschen Psychotherapiestichprobe mit N = 1359 Teilnehmenden (Online-Befragung im Dezember 2022) durchgeführt, um basierend auf dem Vertrauen in PsychotherapeutInnen, dem zwischenmenschlichen Vertrauen sowie dem Vertrauen in Institutionen aufzuzeigen. Es wurden Diskriminanz- sowie Korrelationsanalysen zur Validierung der Ergebnisse angeschlossen. Gruppenunterschiede der datengesteuerten Clusterlösung wurden für mehrere psychosoziale Faktoren wie Resilienz oder die Big Five Persönlichkeitseigenschaften durchgeführt.
Ergebnisse: Eine Drei-Cluster-Lösung mit unterschiedlichen Ausprägungen in den drei Vertrauensbereichen, aber auch in weiteren Dimensionen, wie Persönlichkeit, potentiell traumatischen Lebensereignissen oder Resilienz konnten identifiziert werden.
Diskussion: Das Vertrauen in PsychotherapeutInnen kann als institutionell verstanden werden. Dies ermöglicht die Untersuchung weiterer Wirkfaktoren von Psychotherapie sowie deren Beeinflussung. Darüber hinaus konnten Gruppen verschiedener Vertrauensniveaus identifiziert werden, die sich in Dimensionen, die für die Durchführung von Psychotherapie entscheidend sind, signifikant unterscheiden. Eine regelmäßige Bewertung des Vertrauens in die Psychotherapie könnte dazu beitragen, die Qualität von Psychotherapie und möglicherweise des Zusammenhalts der Gesellschaft zu verbessern.