Informationen zur Dyskalkulie/Rechenstörung
Was versteht man unter Dyskalkulie?
Unter einer Dyskalkulie oder Rechenstörung versteht man gemäß der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) eine Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht alleine erklärbar sind durch eine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung. Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten wie Algebra, Trigonometrie, Geometrie, Differential- sowie Integralrechnung.
Es können in folgenden Bereichen Schwierigkeiten bestehen:
- Zahlensemantik: Rechenoperationen und die ihnen zugrunde liegenden Konzepte werden nicht ausreichend verstanden (z.B. mehr-weniger, ein Vielfaches, Teil-Ganzes)
- die Größe einer Menge kann unzureichend erfasst und zu einer anderen Menge in Beziehung gesetzt werden (vergleichen)
- der Aufbau gegliederter Zahlenstrahl- oder Zahlenraumvorstellungen ist beeinträchtig und damit die Fähigkeit des Überschlagens und Schätzens von Mengen und Rechenergebnissen erschwert.
- Sprachliche Zahlenverarbeitung wie Erwerb der Zahlwortsequenz und der Zählfertigkeiten sowie Speichern von Faktenwissen (Einmaleins)
- Erwerb des arabischen Stellenwertsystems und seiner syntaktischen Regeln sowie der hierauf aufbauenden Rechenprozeduren
- Übertragen von Zahlen aus einer Kodierung in eine andere (Zahlwort - arabische Ziffer - analoge Mengenrepräsentation).
Wie wird die Dyskalkulie diagnostiziert?
Bei der Diagnostik unterscheidet man zwischen der medizinischen Diagnosestellung einer Rechenstörung und der pädagogischen Diagnostik zur Feststellung besonderer Lernschwierigkeiten im Rechnen.
Die Diagnose einer Rechenstörung wird im medizinischen Setting durch einen Kinder- und Jugendpsychiater oder Kinder- und Jugendpsychotherapeuten auf der Basis der aktuell geltenden Klassifikationsrichtlinien des ICD-10 gestellt. Geht es um die Feststellung, ob bei Ihrem Kind besonderen Lernschwierigkeiten im Rechnen vorliegen, damit die Schule pädagogische Maßnahmen zur Förderung Ihres Kindes einleiten kann, ist gemäß Thüringer Schulrecht keine Diagnosestellung einer Rechenstörung durch ein schulexternes Gutachten im Sinne einer medizinischen Diagnose erforderlich.
Im medizinischen Setting wird eine Rechenstörung anhand international festgelegter Kriterien (ICD-10) im Rahmen einer sogenannten multiaxialen Diagnostik festgestellt. Neben einer ausführlichen kinder- und jugendpsychiatrischen Anamnese kommen dabei standardisierter psychologischer Testverfahren zur Erfassung der Intelligenz sowie der Rechenleistungen zum Einsatz.
Die ICD-10 gibt an, dass eine Dyskalkulie dann diagnostiziert wird, wenn:
- die Rechenfertigkeiten bedeutsam von den kognitiven Leistungsfähigkeiten des Kindes abweichen. Das bedeutet, dass das Kind nicht in der Lage ist, Rechenleistungen auf einem Niveau zu erzielen, das seiner eigentlichen intellektuellen Begabung entspricht.
- die Rechenleistungen unter einem altersangemessenen Niveau liegen.
Für die Feststellung von besonderen Lernschwierigkeiten im Bereich Rechnen durch die Schule ist gemäß des Thüringer Schulrechts die schulische pädagogische Diagnostik die Basis. Basierend auf dieser schulischen pädagogischen Diagnostik kann die Schule ohne Feststellungsverfahren einen Förderplan erstellen, pädagogische Fördermaßnahmen einleiten und gegebenenfalls einen Nachteilsausgleich gewähren.
Diese Festlegungen für die pädagogische Diagnostik, die pädagogische Förderung sowie die Rahmenbedingungen zum Nachteilsausgleich sind in verschiedenen schulrechtlichen Dokumenten, fachlichen Empfehlungen sowie pädagogischen Handreichungen durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (TMBWK) geregelt.
Siehe hierzu:
- Thüringer Schulgesetz (§2 (1))
- Thüringer Schulordnung (§47 (1), (5), (7) und §59)
- Fachliche Empfehlung zu Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten in den allgemein bildenden Schulen in Thüringen vom 20.08.2008
- "Hinweise zur Entwicklung von Fördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler - Praxishilfe
Wie entsteht die Dyskalkulie?
Auch bei der Dyskalkulie geht man von einer zentralnervösen, kognitiven Störung der Informationsverarbeitung aus.
Wie häufig kommt die Dyskalkulie eigentlich vor?
Bei der Durchsicht internationaler Studien ergibt sich, dass man national wie international von einer Häufigkeit von ca. 5% ausgehen kann.
Diagnose Dyskalkulie: was nun? Möglichkeiten der Förderung
Auf jeden Fall sollte das zentrale Element der Förderung das Training grundlegender Rechenfertigkeiten sein. Sinnvolle Trainingsinhalte sind deshalb Beübung von:
- Zahlensemantik und Mengenerfassung
- Zahlenraumvorstellung
- sprachliche Zahlenverarbeitung
- Übertragung von Zahlwort in die arabische Ziffer und umgekehrt
- arabisches Stellenwertsystem
- Verständnis der grundlegenden Rechenoperationen Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division
Wichtig ist auch, dass potentielle begleitende emotionale Probleme (niedriges Selbstwertgefühl, Anpassungsprobleme in der Schule, Hausaufgabenkonflikte) oder andere psychische Begleitstörungen (Störungen des Sozialverhaltens und Hyperaktivitätssyndrome) Beachtung finden und bei Bedarf mitbehandelt werden.
Allgemeinbildende Schulen
Schulische Förderung:
Eine gute und offene Zusammenarbeit der betroffenen Kinder, der Sorgeberechtigten und der Lehrer und Erzieher ist sehr wichtig für das Gelingen der schulischen Förderung bei der Rechenstörung.
Aufgrund der Kultushoheit der Länder hat jedes Bundesland eine eigene Vorgehensweise bei der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Lernschwierigkeiten im Bereich Rechnen.
Die schulrechtlichen Regelungen zur pädagogischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Lernschwierigkeiten im Bereich Rechnen ist in verschiedenen schulrechtlichen Dokumenten, fachlichen Empfehlungen sowie pädagogischen Handreichungen durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (TMBWK) geregelt.
Siehe hierzu:
- Thüringer Schulgesetz (§2 (1))
- Thüringer Schulordnung (§47 (1), (5), (7) und §59)
- Fachliche Empfehlung zu Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten in den allgemein bildenden Schulen in Thüringen vom 20.08.2008
- "Nachteilsausgleich: Vorbeugen – Erkennen – Anwenden"
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Auszug aus der Thüringer Schulordnung:
"§ 47 Fächer, individuelle Förderung und besondere Fördermaßnahmen
(7) Schüler mit besonderen Lernschwierigkeiten im Lesen und im Rechtschreiben, in Mathematik und in den Fremdsprachen sowie Schüler, die des Sportförderunterrichts bedürfen, sollen eine zusätzliche pädagogische Förderung erhalten.
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Nachteilsausgleich bei Rechenstörungen
Ein Nachteilsausgleich soll eine Maßnahme in Prüfungssituationen sein, um Kindern mit einer Behinderung fairere Rahmenbedingungen einzurichten, damit sie den Nachweis erbringen können, dass sie die Lernziele erreicht haben. Im Rahmen von Rechenstörungen liegen kaum Möglichkeiten vor, äquivalente Leistungen in den basisnumerischen Fertigkeiten zu erbringen, wodurch bei der Überprüfung von Lernzielen in diesem Bereich oft kein Nachteilsausgleich gewährt wird.
In der Handreichung "Nachteilsausgleich: Vorbeugen – Erkennen – Anwenden" (S. 18ff) werden verschiedene Handhabungen zum Nachteilsausgleich bei der Rechenstörung dargestellt.
Berufsbildende Schulen
Für berufsbildenden Schulen liegt in Thüringen keine einheitlich Schulordnung vor. Derzeit gibt es keine verbindliche Regelung, wie und ob ein Nachteilsausgleich an einer berufsbildenden Schule gewährt werden kann.
Die Gewährung eines Nachteilsausgleiches geschieht in der Regel auf der Basis individueller Absprachen mit der Schulleitung und Klassenkonferenz.
Private Förderinstitute
Neben diesen schulischen Förderangeboten gibt es natürlich noch eine Reihe privater Anbieter von Therapien der Rechenstörung. Dieser Förderansatz sollte verfolgt werden, wenn die innerschulischen und familiären Hilfen nicht ausreichen und die schulische Eingliederung bedroht ist. Bei der Auswahl solcher Institutionen sollte man nach dem aktuellen Kenntnisstand der wissenschaftlichen Therapiestudien der Erkenntnis folgen, dass besonders die Therapieverfahren, die "symptomspezifische" Trainingsansätze beinhalten, zu den erfolgreichsten Therapieprogrammen zählen. Dies sind Therapieprogramme, die folgende Inhalte beüben:
- Zahlensemantik und Mengenerfassung
- Zahlenraumvorstellung
- sprachliche Zahlenverarbeitung
- Übertragung von Zahlwort in die arabische Ziffer und umgekehrt
- arabisches Stellenwertsystem
- Verständnis der grundlegenden Rechenoperationen Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division
Generell sollte mit der Förderung eines Kindes mit Rechenstörung so frühzeitig wie möglich begonnen werden. Durch ein systematisches, symptomspezifisches Training können große Fortschritte bei den Rechenfertigkeiten erzielt werden.
Weiterführende Informationen
Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) hat zwei ganz hervorragende Broschüren erstellt, die die Inhalte unserer Informationsseite noch tiefgreifender ergänzen und viele wertvolle Tipps zum Umgang mit der Dyskalkulie beinhalten.
http://www.bvl-legasthenie.de/
Bildungsserver Brandenburg
- Erfolgreich rechnen lernen Prävention von Schwierigkeiten – Diagnose – Förderung
- Materialien zur Diagnose und Förderung im Mathematikunterricht Raum und Form
- Materialien zur Diagnose und Förderung im Mathematikunterricht: „Größen und Messen“ und „Daten und Zufall“
- Rechenstörungen als schulische Herausforderung. Handreichung zur Förderung von Kindern mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnen