Leipzig. Brust-, Lungen-, Prostata- oder Darmkrebs, psychiatrische und allergische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Leiden des Menschen. Bei Entstehung und Verlauf dieser Krankheiten spielen die Moleküle der Adhäsions-GPCR-Familie (aGPCR) eine bedeutende Rolle. Denn: G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR) sind dafür zuständig, chemische und physikalische Reize ins Innere der Zellen zu übertragen und diese über äußere Stimuli zu informieren. Damit übernehmen GPCR Schlüsselpositionen in vielen biologischen Prozessen.
Die Funktionsweise von aGPCR-Rezeptoren nutzen
Der Ansatz, dass Medikamente unmittelbar an den Rezeptoren als Wirkungsort ansetzen, wird heute schon für viele Arzneimittel genutzt – wie z. B. bei Medikamente gegen Allergien, Bluthockdruck oder Morbus Parkinson. Allerdings gibt es eine Familie innerhalb dieser Rezeptorgruppe, die bisher noch nicht für therapeutische Zwecke effektiv genutzt werden konnte: die Adhäsions-GPCR-Rezeptoren (aGPCR). Diese stehen im Zentrum des ANdeRS-Projekts. Grund hierfür ist ihr spezieller Funktionsmechanismus, der dafür sorgt, dass sich der Rezeptor selbst in zwei Fragmente spaltet, die aber durch eine schwache chemische Bindung miteinander verbunden bleiben. Ist der aGPCR an der Zelloberfläche angekommen, kann eine Trennung der beiden Fragmente den Rezeptor aktivieren. Die bisherige Herausforderung bestand darin, diese Spaltung effektiv sichtbar und messbar zu machen, um die Suche nach Wirkstoffen zur Behandlung von aGPCR-vermittelten Krankheiten voranbringen zu können.
Ein Durchbruch: Sensortechnologie macht die Spaltung sichtbar
Dem ANdeRS-Projektteam an der Universität Leipzig ist die Entwicklung einer innovativen Sensortechnologie gelungen, mit der die Trennung der Rezeptorfragmente sichtbar gemacht und quantifiziert werden kann. Dieses neuartige Suchwerkzeug kombiniert die aGPCR- und Notch-Rezeptor-Biologie und trägt passend zur Funktion den Namen NTF-Release Sensor (NRS). Damit kann die NRS-Technologie die bisherige Lücke bei der Suche nach Wirkstoffen gegen aGPCR-vermittelte Erkrankungen wie einer Reihe von Krebsarten sowie entzündlichen und neuropsychiatrischen Leiden endlich schließen.
VIP+ als Sprungbrett für die Entwicklung hochdurchsatzfähiger Testsysteme
In der Pharmaforschung ist das Hochdurchsatz-Screening (engl. High-Throughput-Screening, HTS) eine automatisierte Methode, bei der im Hochdurchsatz an Zehntausenden bis Millionen von Substanzen biochemische, genetische oder pharmakologische Tests durchgeführt werden. Durch die NRS-Innovation des ANdeRS-Teams könnten nun erstmals aGPCR als Wirkziele für Pharmakotherapeutika in akademischen und industriellen Hochdurchsatz-Untersuchungen analysiert werden.
Damit das große Potenzial der NRS-Technologie ausgeschöpft werden kann, ist das Ziel, in der Projektlaufzeit hochdurchsatzfähige Testsysteme für verschiedene Rezeptoren der aGPCR-Familie zu entwickeln, zu validieren und damit für die Medikamentensuche nutzbar zu machen. Hierdurch könnten erste vielversprechende Wirkstoffkandidaten identifiziert werden, um neue Therapieansätze für eine große Bandbreite an Erkrankungen zu ermöglichen. Langfristig soll das Testsystem lizenziert, verkauft oder als Dienstleistung per Ausgründung den im Pharmabereich forschenden Unternehmen angeboten werden. Darüber hinaus soll das Testsystem auch akademischen Laboren überlassen werden, die nach Wirkstoffen gegen Krankheiten suchen, die durch aGPCR-Fehlfunktionen ausgelöst werden.
Kontakt
Dr. rer. nat. Nicole Scholz
Universität Leipzig
+49 341 9722145
Prof. Dr. med. Tobias Langenhan, D. Phil. (Oxon)
Universität Leipzig
+49 341 9722100
Weitere Informationen zum Projekt ANdeRS